Freiheit = Das Recht eines jeden
Menschen, irgendwo aufzustehen und all das zu sagen, was jedermann
denkt.
(Lincoln Steffens)
Ich war dabei, es war 1961, ich war auch betroffen, ich wurde Flüchtling ...
Der 3. Oktober – heute ein freier
Tag, doch wer kennt noch die Hintergründe dazu?
Ich erinnere mich sehr genau, warum wir
heute Feiertag haben. Denn auch ich bin ein Flüchtlingskind, die
viel verlor durch diese Mauer. Durch Trennung von Ost - West.
Eine Mauer, die über Jahrzehnte trennt und
zerstört, Menschen verlieren sich …
Der 3. Oktober 1989, der Tag der Befreiung. Deutschland war
vorher zwanghaft zerrissen. Menschen bäumten sich plötzlich mutig auf auf und
gewannen letztlich. Die Mauer fiel, wir sind wieder vereint, frei.
Heute ein freier Tag, arbeitsfrei -
schulfrei. Doch wer kennt noch die Hintergründe dazu?
Meine wahre Erinnerung, schmerzhaft
erzählt: Ich erinnere mich sehr genau, warum wir heute Feiertag,
eben frei haben. Denn auch ich bin ein "Flüchtlingskind", die viel
durch die Mauer verlor. Durch unüberwindbare Trennung von Ost -
West.
Eine Mauer über Jahrzehnte trennt und
zerstört, vernichtet Gemeinsamkeiten. Menschen verlieren sich ---.
Wer weiß noch wirklich in 2017, was die Mauer
in Deutschland war?
Warum gab es Jahrzehnte später einen
3. Oktober, einen Feiertag?
Ich bin selbst ein Kind es Ostens, im
behüteten schönen Vogtland, in einer kleinen bekannten Musikstadt
geborgen aufgewachsen. Es gab viel Freiheit für ein Kind. Wir
konnten noch völlig allein in den Wäldern Abenteuer leben, auf
Bäume klettern, mit alten Männerfahrrädern (andere gab es oft
nicht) unter der Stange das Fahren üben, in schlammigen Teichen
schwimmen lernen, Frösche und viel mehr Getier im Einweckglas mit
nach Hause nehmen. Unsere Eltern warnten uns bei gemeinsamen
Spaziergängen vor lauernden Gefahren. Ja, die gab es nach dem Krieg
auch dort. Aber wir waren behütet.
1961 im Juli entschloss sich
mein Vater, in den Westen zu gehen. Ich war ein Teenager, gerade
frisch verliebt, tanzwütig und sozial fest verstrickt.
Uns ging es nach meiner Sicht sehr gut.
Meine Großmutter und mein Vater waren selbstständig, ein kleiner
Betrieb für chirurgisches Nahtmaterial und Saitenmacherei, ein
kleines florierendes Unternehmen mitten in der DDR. - Gar nicht so
selten, öfter kämpften sich Unternehmen hier hart gegen die
vorgeschriebene Front.
Mit unseren lila Wartburg rollten wir
ohne Motorgeräusch den Berg hinab. Ohne Blick zurück auf das Daheim, auf
Haus, wunderschönen Garten, auf die kleine Fabrik, auf Grund und
Boden. Die Augen weinten still tränenlos.
Erst auf der Hauptstraße
wurde der Motor gezündet. Ab ging es nach Berlin. Eine Fahrt in die
Hoffnung, aber auch der Verlust an das Geliebte, an Heimat und alles,
was wir liebten.
Die Geschichte ging recht brenzlig
weiter. Kontrollen von fiesen DDR-Kontrolleuren in der U-Bahn.
Trotzdem durchgekommen bis Tempelhof.
Hier gäbe es aus meinen Empfindungen
viel Angstvolles zu berichten. Ich wartete mit meinem kleinen Bruder
allein in einem Postamt auf meine Familie, die noch einmal zurück
mussten, um Dinge zu klären. Kommen sie überhaupt durch, zu uns
zurück? --- Das war meine Angstfantasie. --- Nach gefühlten 10
Stunden - es waren zwei -, kamen sie erleichtert zurück. Geschafft!
Die U-Bahn brachte uns ins Aufnahmelager nach Marienfelde.
Plötzlich waren wir Flüchtlinge
innerhalb Deutschlands, in einer Halle zusammen mit vielen Hundert
Menschen untergebracht. Nur eine Bettlakenwand trennte die
Intimsphäre. Wir waren plötzlich Fremde in der Heimat. Wir wurden
auf Krankheiten untersucht, als kämen wir vom fremden Stern, wurden befragt
und registriert. Genauestens und oft recht bedrückend - unsensibel.
Als politisch anerkannt wurden wir nach Tagen vor der Mauer
ausgeflogen. Viele Aufnahmelager, Heime folgten – viele
Schulwechsel. Plötzlich alles anders, alles fremd und
neu.
Perspektiven/Ziele lösten sich auf. Neue Ideen mussten her …
Der nachfolgende Mauerbau, ab 13.
August 1961, verändert dann fast alles. Niemand durfte mehr zurück,
keine Verbindungen mehr zu seinen Lieben. Ausgesperrt von dem
einstigen Lebensraum. Vieles erstarb in den folgenden Jahren. Viel
ging völlig verloren. Was blieb, war ein Überlebenstraining für
beide Seiten. Nie einfach, soweit wir emotional verbunden schienen.
Menschen richten sich ein, weil es nicht anders ging. Die Erfolge versandeten oft zu schnell. Jeder musste
irgendwie nach diesem Schock leben – um zu überleben.
Zu lange, viele Jahre – Jahrzehnte,
endlich ein Umbruch, durch den Mut dieser abgesperrten Menschen,
durch Frustration eines auferlegten Gefangenenseins. Menschen wollen
frei leben, sich entwickeln, frei erleben. Menschen kämpfen!
Leider
ist die Gleichberechtigung bis heute nicht voll angekommen. Woran mag
das wohl liegen? Jeder darf sich das Eigene denken, --- ich auch.
Vielleicht hat unsere Politik diese Gemeinsamkeiten nicht
entsprechend gefördert, nicht geachtet, wenig gefördert?
Das ist mein Gedanke.
Keinen zurücklassen, sollte die Devise sein, so auch meine eigener
Gedanken. Vergessen und damit Neuanfang – ohne Vergangenheit des
Leids zu bedenken, das ist kein guter Anfang. Wer möchte schon vergessen sein?
August 61: Volkspolizisten riegeln
die Grenzen zum Sowjetsektor ab. Seit dem frühen Morgen wird mitten
in Berlin das Straßenpflaster aufgerissen, werden Asphaltstücke
und Pflastersteine zu Barrikaden aufgeschichtet, Betonpfähle
eingerammt und Stacheldrahtverhaue gezogen.
Auf der Ostseite halten Kampfgruppen
und Volkspolizei die Umstehenden mit Maschinengewehren in Schach, im
von den West-Alliierten kontrollierten West-Berlin schirmt die
Polizei die Grenzanlagen vor den aufgeregten Bürgern ab.
Mindestens 140 Menschen wurden
zwischen 1961 und 1989 an der Berliner Mauer getötet
Notaufnahmelager Marienfelde in
West-Berlin: Durchgangsstation für Hunderttausende von DDR-
Im Jahr 1960 flüchteten 199.188
Menschen aus der DDR, davon drei Viertel (152.291) über die noch
offene Sektorengrenze von Ost- nach West-Berlin. Auch im Januar 1961
hält der Flüchtlingsstrom an: 16.697 Menschen aus der DDR treffen
im Westen ein; davon sind 47,8 Prozent Jugendliche unter 25 Jahren.
Die genauen Daten habe ich aus der
Chronik der Mauer, selbst hätte ich sie nicht so genau gewusst.
Wer es erlebte, der möchte es nie mehr erfahren müssen. -
Flüchtlingsdrama live in Deutschland! --- Irgendwo habe ich mich
engagiert, mein Leben geschafft. Es hätte einfacher sein dürfen ...
Noch heute spüren
wir die Kluft, die Sünde der Vergangenheit, die uns bis heute immer noch
entzweit. Die Revolution - die Gute fand oft nur in den Metropolen
statt. Das flache Land, es hat verloren ---. wir Menschen spüren das noch immer heut`.
Heute gelten nur noch die Zukunft und der Gedanke an Frieden. Ja, ich
weiß genau, wie sich ein Flüchtling fühlt, deshalb helfe ich und ich tue
es aus voller Überzeugung. Niemand geht so ohne Grund!
Hoffnung auf das Gute
Eure Sonja Kaboth