Meine bunte Welt

Dienstag, 3. Oktober 2017

Freiheit = Das Recht eines jeden Menschen, irgendwo aufzustehen und all das zu sagen, was jedermann denkt.
(Lincoln Steffens) 

Ich war dabei, es war 1961, ich war auch betroffen, ich wurde Flüchtling ...


Der 3. Oktober – heute ein freier Tag, doch wer kennt noch die Hintergründe dazu?

Ich erinnere mich sehr genau, warum wir heute Feiertag haben. Denn auch ich bin ein Flüchtlingskind, die viel verlor durch diese Mauer. Durch Trennung von Ost - West.

Eine Mauer, die über Jahrzehnte trennt und zerstört, Menschen verlieren sich …



Der 3. Oktober 1989, der Tag der Befreiung. Deutschland war vorher zwanghaft zerrissen. Menschen bäumten sich plötzlich mutig auf auf und gewannen letztlich. Die Mauer fiel, wir sind wieder vereint, frei.



Heute ein freier Tag, arbeitsfrei - schulfrei. Doch wer kennt noch die Hintergründe dazu?

Meine wahre Erinnerung, schmerzhaft erzählt: Ich erinnere mich sehr genau, warum wir heute Feiertag, eben frei haben. Denn auch ich bin ein "Flüchtlingskind", die viel durch die Mauer verlor. Durch unüberwindbare Trennung von Ost - West.

Eine Mauer über Jahrzehnte trennt und zerstört, vernichtet Gemeinsamkeiten. Menschen verlieren sich ---.


Wer weiß noch wirklich in 2017, was die Mauer in Deutschland war?

Warum gab es Jahrzehnte später einen 3. Oktober, einen Feiertag?


Ich bin selbst ein Kind es Ostens, im behüteten schönen Vogtland, in einer kleinen bekannten Musikstadt geborgen aufgewachsen. Es gab viel Freiheit für ein Kind. Wir konnten noch völlig allein in den Wäldern Abenteuer leben, auf Bäume klettern, mit alten Männerfahrrädern (andere gab es oft nicht) unter der Stange das Fahren üben, in schlammigen Teichen schwimmen lernen, Frösche und viel mehr Getier im Einweckglas mit nach Hause nehmen. Unsere Eltern warnten uns bei gemeinsamen Spaziergängen vor lauernden Gefahren. Ja, die gab es nach dem Krieg auch dort. Aber wir waren behütet.

1961 im Juli entschloss sich mein Vater, in den Westen zu gehen. Ich war ein Teenager, gerade frisch verliebt, tanzwütig und sozial fest verstrickt.



Uns ging es nach meiner Sicht sehr gut. Meine Großmutter und mein Vater waren selbstständig, ein kleiner Betrieb für chirurgisches Nahtmaterial und Saitenmacherei, ein kleines florierendes Unternehmen mitten in der DDR. - Gar nicht so selten, öfter kämpften sich Unternehmen hier hart gegen die vorgeschriebene Front.



Mit unseren lila Wartburg rollten wir ohne Motorgeräusch den Berg hinab. Ohne Blick zurück auf das Daheim, auf Haus, wunderschönen Garten, auf die kleine Fabrik, auf Grund und Boden. Die Augen weinten still tränenlos.
Erst auf der Hauptstraße wurde der Motor gezündet. Ab ging es nach Berlin. Eine Fahrt in die Hoffnung, aber auch der Verlust an das Geliebte, an Heimat und alles, was wir liebten.



Die Geschichte ging recht brenzlig weiter. Kontrollen von fiesen DDR-Kontrolleuren in der U-Bahn. Trotzdem durchgekommen bis Tempelhof.

Hier gäbe es aus meinen Empfindungen viel Angstvolles zu berichten. Ich wartete mit meinem kleinen Bruder allein in einem Postamt auf meine Familie, die noch einmal zurück mussten, um Dinge zu klären. Kommen sie überhaupt durch, zu uns zurück? --- Das war meine Angstfantasie. --- Nach gefühlten 10 Stunden - es waren zwei -, kamen sie erleichtert zurück. Geschafft! Die U-Bahn brachte uns ins Aufnahmelager nach Marienfelde.

Plötzlich waren wir Flüchtlinge innerhalb Deutschlands, in einer Halle zusammen mit vielen Hundert Menschen untergebracht. Nur eine Bettlakenwand trennte die Intimsphäre. Wir waren plötzlich Fremde in der Heimat. Wir wurden auf Krankheiten untersucht, als kämen wir vom fremden Stern, wurden befragt und registriert. Genauestens und oft recht bedrückend - unsensibel. 

Als politisch anerkannt wurden wir nach Tagen vor der Mauer ausgeflogen. Viele Aufnahmelager, Heime folgten – viele Schulwechsel. Plötzlich alles anders, alles fremd und neu.
Perspektiven/Ziele lösten sich auf. Neue Ideen mussten her …



Der nachfolgende Mauerbau, ab 13. August 1961, verändert dann fast alles. Niemand durfte mehr zurück, keine Verbindungen mehr zu seinen Lieben. Ausgesperrt von dem einstigen Lebensraum. Vieles erstarb in den folgenden Jahren. Viel ging völlig verloren. Was blieb, war ein Überlebenstraining für beide Seiten. Nie einfach, soweit wir emotional verbunden schienen. Menschen richten sich ein, weil es nicht anders ging. Die Erfolge versandeten oft zu schnell. Jeder musste irgendwie nach diesem Schock leben – um zu überleben. 


Zu lange, viele Jahre – Jahrzehnte, endlich ein Umbruch, durch den Mut dieser abgesperrten Menschen, durch Frustration eines auferlegten Gefangenenseins. Menschen wollen frei leben, sich entwickeln, frei erleben. Menschen kämpfen!

Leider ist die Gleichberechtigung bis heute nicht voll angekommen. Woran mag das wohl liegen? Jeder darf sich das Eigene denken, --- ich auch. Vielleicht hat unsere Politik diese Gemeinsamkeiten nicht entsprechend gefördert, nicht geachtet, wenig gefördert?
Das ist mein Gedanke. 
Keinen zurücklassen, sollte die Devise sein, so auch meine eigener Gedanken. Vergessen und damit Neuanfang – ohne Vergangenheit des Leids zu bedenken, das ist kein guter Anfang. Wer möchte schon vergessen sein? 

  1. August 61: Volkspolizisten riegeln die Grenzen zum Sowjetsektor ab. Seit dem frühen Morgen wird mitten in Berlin das Straßenpflaster aufgerissen, werden Asphaltstücke und Pflastersteine zu Barrikaden aufgeschichtet, Betonpfähle eingerammt und Stacheldrahtverhaue gezogen.

    Auf der Ostseite halten Kampfgruppen und Volkspolizei die Umstehenden mit Maschinengewehren in Schach, im von den West-Alliierten kontrollierten West-Berlin schirmt die Polizei die Grenzanlagen vor den aufgeregten Bürgern ab.
Mindestens 140 Menschen wurden zwischen 1961 und 1989 an der Berliner Mauer getötet



Notaufnahmelager Marienfelde in West-Berlin: Durchgangsstation für Hunderttausende von DDR-

Im Jahr 1960 flüchteten 199.188 Menschen aus der DDR, davon drei Viertel (152.291) über die noch offene Sektorengrenze von Ost- nach West-Berlin. Auch im Januar 1961 hält der Flüchtlingsstrom an: 16.697 Menschen aus der DDR treffen im Westen ein; davon sind 47,8 Prozent Jugendliche unter 25 Jahren.


Die genauen Daten habe ich aus der Chronik der Mauer, selbst hätte ich sie nicht so genau gewusst.


Wer es erlebte, der möchte es nie mehr erfahren müssen. - Flüchtlingsdrama live in Deutschland! --- Irgendwo habe ich mich engagiert, mein Leben geschafft. Es hätte einfacher sein dürfen ...

Noch heute spüren wir die Kluft, die Sünde der Vergangenheit, die uns bis heute immer noch entzweit. Die Revolution - die Gute fand oft nur in den Metropolen statt. Das flache Land, es hat verloren ---.  wir Menschen spüren das noch immer heut`.

Heute gelten nur noch die Zukunft und der Gedanke an Frieden. Ja, ich weiß genau, wie sich ein Flüchtling fühlt, deshalb helfe ich und ich tue es aus voller Überzeugung. Niemand geht so ohne Grund!


Hoffnung auf das Gute
Eure Sonja Kaboth